Freddy Litten

(Frederick S. Litten)

Johann von Lamont ‒ Kurzbiographie

Die folgende Kurzbiographie wurde ursprünglich 1993 für den zweiten Band des "Professorenkatalogs" der Ludwig-Maximilians-Universität München verfaßt und 2000 auf den damals neuesten Stand gebracht. Da jedoch das Erscheinen dieses Bandes immer noch nicht absehbar ist, wird sie hiermit in seitdem unveränderter Form im Internet präsentiert, um vielleicht doch noch von Nutzen zu sein.
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Lamont, Johann von, * 13. 12. 1805 Corriemulzie, Braemar/Schottland, † 6. 8. 1879 Bogenhausen/München. (kath.).
V Robert, Steuerbeamter, * 1747, † 1816; M Elspeth Ewan.

1817 nahm ein Emissär des Schottenstifts zu St. Jakob in Regensburg L. nach Regensburg mit, um ihn am dortigen Gymnasium, bzw. ab 1824 am Lyzeum, erziehen zu lassen, ursprünglich für das Studium der Theologie. Der Prior des Klosters, Pater Benedikt Deasson, war an Mathematik und Mechanik interessiert und bildete L. darin besonders aus. Im Sommer 1827 verbrachte L. seine Ferien in Bogenhausen, um an der dortigen Sternwarte unter Johann Georg von Soldner zu üben. Dabei erwies er sich als so geschickt, daß Soldner veranlaßte, L. am 11. 3. 1828 als Gehilfen an der Sternwarte anzustellen. Im März 1830 promovierte L. an der Univ. München. Infolge eines zunehmenden Leidens Soldners mußte L. mehr und mehr dessen Arbeit an der Sternwarte verrichten. Nach dessen Tod 1833 übernahm L. kommissarisch die Leitung der Sternwarte und erhielt, vor den Mitbewerbern Franz von Paula Gruithuisen und Carl August von Steinheil, den Posten eines Conservators (Direktors) am 13. 7. 1835, besonders aufgrund der Fürsprache des Akad.präsidenten Friedrich von Schelling. Im selben Jahr wurde L. als ao. Mitglied der Bayer. Akad. der Wissenschaften aufgenommen, im folgenden bereits als o. Mitglied. 1836/37 erbat L. die Genehmigung, Vorlesungen in praktischer Astronomie an der Univ. München zu halten, die er nach einigen Widerständen am 4. 4. 1837 erhielt. Nach dem Tode des Ordinarius' für Astronomie an der Univ. München, Gruithuisen, bewarb sich L. am 2. 7. 1852 um dessen Stellung, ebenso wie Ludwig Seidel. Am 20. 12. 1852 erfolgte die Berufung L.s zum 1. 1. 1853 als Nachfolger Gruithuisens, eine Position, die er bis zu seinem Lebensende hielt. In seinem Testament vermachte er den größten Teil seines Vermögens einer bereits 1853 gegründeten Stiftung an der Univ. München, mit der Studenten der Mathematik und Naturwissenschaften gefördert werden sollten. L. war 1857/58 bis 1858/59 Mitglied des Senats der Univ. München und u. a. Mitglied der Leopoldina, der Kgl. Belgischen Akad. der Wissenschaften, der Royal Astronomical Society, der Royal Society, der British Association for the Advancement of Science, der K. Societät der Wissenschaften zu Uppsala, der K. K. Geographischen Gesellschaft zu Wien. 1854 erhielt er den Maximilians-Orden für Wissenschaft und Kunst, 1855 den Orden Papst Gregors des Großen, 1858 den Schwedischen Nordstern-Orden, 1867 den Bayer. Kronorden und damit den persönlichen Adel. Ein Mond- und ein Marskrater sind nach ihm benannt.

L.s Tätigkeit berührte vor allem zwei Gebiete: die Positionsastronomie und die geophysikalisch/erdmagnetische Forschung. Auf ersterem Gebiet veröffentlichte L. nicht nur die Meridiankreisbeobachtungen Soldners, sondern setzte diese auch fort (ingesamt zählen die Kataloge ungefähr 80000 Beobachtungen) und nutzte, wenigstens zu Anfang, häufig den neuen 10,5-Zoll-Refraktor aus der Werkstatt Utzschneider-Fraunhofer, eines der besten Geräte seiner Zeit, z.B. zur Beobachtung der Körper im Sonnensystem (1836 des Halleyschen Kometen) und von Sternnebeln. Ab Mitte des Jahrhunderts beschäftigte sich L. mit Sonnenphysik und entwickelte eine (falsche) Theorie der Sonnenprotuberanzen. L. begründete auch die Werkstatt an der Sternwarte, die 1853 offiziell übernommen wurde, und führte beispielsweise mit einem selbst konstruierten Chronometer 1850 als erster Astronom in Europa die elektrische Registrierung von Sterndurchgängen ein. Von weitreichenderer Wirkung aber waren L.s Forschungen zur Geophysik. Auf Anregung Alexander v. Humboldts hatte besonders die Royal Society mit der Organisation erdmagnetischer Beobachtungen begonnen. Nachdem er bereits 1836 derartige Beobachtungen auf Anregung Carl Friedrich Gauß' angestellt hatte, richtete L. 1840 mit Mitteln des Königs ein erdmagnetisches Observatorium an der Sternwarte Bogenhausen ein und begann am 1. 8. 1840 eine Beobachtungsreihe, die erst 46 Jahre später eine längere Unterbrechung erfahren sollte. Hinzu kamen Reisebeobachtungen aus verschiedenen Teilen Europas. Auch hier nutzte L. nicht nur seine theoretischen, sondern auch seine praktisch-mechanischen Fähigkeiten und schuf eine Reihe von Hilfsmitteln - Variometer, (Reise-) Theodoliten -, die seine Bedeutung für dieses Fachgebiet erheblich förderten. Daneben beschäftigte sich L. mit Geodäsie, so mit dem Zusammenschluß der bayerischen und der österreichischen Triangulierungen. Die bereits von Soldner begonnenen meteorologischen Beobachtungen dehnte L. aus und behandelte diese Materie auch theoretisch. Zahlreiche Publikationen, manchmal auch populären Charakters, brachten die Ergebnisse und Erkenntnisse an die Öffentlichkeit. Hinzu kam die Vorlesungstätigkeit an der Univ. München, vor allem ab 1853.

Q UAM, E-II-477 Lamont; Archiv der Bayer. Akad. der Wissenschaften, Lamont, und Personalakt Lamont des Generalkonservatoriums der Wissenschaftlichen Sammlungen des Staates; BayHStAM, Ordensakten 871, 11874, 13809, 15344.

W Über die Nebelflecke, München 1837; Handbuch des Erdmagnetismus, Berlin 1849; Magnetische Karte von Bayern, München 1854; Magnetische Ortsbestimmungen, ausgeführt an verschiedenen Punkten Bayerns, zwei Bände, München 1854-1857; Der Erdstrom und der Zusammenhang desselben mit dem Magnetismus der Erde, Leipzig 1862; Handbuch des Magnetismus, Leipzig 1867. Hg.: Jahrbuch (Jahresbericht) der Kgl. Sternwarte bei München; Observationes astronomicae in specula regia Monachiensi; Annalen für Meterologie, Erdmagnetismus und verwandte Gegenstände; Annalen der Kgl. Sternwarte bei München.

L DBA; DBA N.F.; Bosl; Poggendorff, Bde. I, III (W); Almanach der Bayer. Akad. der Wissenschaften für das Jahr 1875, 220-224 (W); F. von Kobell, J. v. L., Sitzungsberichte der mathematisch-physikalischen Klasse der Bayer. Akad. der Wissenschaften (1880), 263-265; E. D., J. v. L. (Teil von: Report of the Council to the Sixtieth Annual General Meeting), Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 40 (1880), 208-212; C. von Schafhäutl, J. v. L., Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland 85 (1880), 54-82; C. von Orff, J. v. L., Vierteljahrsschrift der Astronomischen Gesellschaft 15 (1880), 60-82; J. v. L., Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München für das Jahr 1879/1880, München 1880, 8-9; S. Günther, J. v. L., ADB 17 (1883), 570-572; J. MacPherson, J. v. L. - A Memoir, Braemar 1930 (P); K. Wienert, 125 Jahre erdmagnetischer Beobachtungen in München, Maisach und Fürstenfeldbruck, in: Zum 125-jährigen Bestehen der Observatorien München-Maisach-Fürstenfeldbruck, Hg.: Geophysikalisches Observatorium Fürstenfeldbruck, München 1966, 5-51 (Werkverzeichnis, P); D. B. Herrmann, J. v. L., Dictionary of Scientific Biography 7, New York 1973, 607-609; F. Schmeidler, J. v. L., NDB 13 (1982), 451-452; 500 Jahre Vermessung und Karte in Bayern, Mitteilungsblatt Deutscher Verein für Vermessungswesen, Landesverein Bayern e.V. 34 (1982), Sonderheft 2, 84-85; M. Beblo, J. v. L. und das Erdmagnetische Observatorium in München, Mitteilungen - Arbeitskreis Geschichte der Geophysik in der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft 5 (1986), Heft 1, 1-9; M. Beblo, J. v. L.s Vermessung von Bayern 1849, 1850 und 1852-1855, Ein Beitrag zu "Naturwissenschaftliche Erforschung des Königsreichs Bayern", in: Protokoll über das 10. Kolloquium "Elektromagnetische Tiefenforschung" Grafrath/Oberbayern vom 19. - 23. März 1984, Hg.: V. Haak, J. Homilius, Hannover 1984, 7-10; P. Schmidt, Geomagnetische Kartographie während der Industriellen Revolution, Die Geomagnetische Vermessung Bayerns durch J. v. L. (1805-1879), Zs. für geologische Wissenschaften 16 (1988), Heft 1, 43-54; R. Häfner, Die Zeit J. v. L.s an der Königlichen Sternwarte zu Bogenhausen, Sterne und Weltraum (1990), Heft 1, 13-18 (P); Beiträge von M. Beblo, K. Wienert, G. Angenheister, V. Haak und E. Weingärtner, in: Münchner Geophysikalische Mitteilungen (1991), Heft 5, Special Issue: 150 Years Earthmagnetic Observatories München-Maisach-Fürstenfeldbruck, Hg.: M. Beblo, H. Soffel, 11-18, 19-24, 25-30, 31-42, 131-140 (P).

© Freddy Litten
13.7.2023