Freddy Litten

(Frederick S. Litten)

Jakob Volhard ‒ Kurzbiographie

Die folgende Kurzbiographie wurde ursprünglich 1993 für den zweiten Band des "Professorenkatalogs" der Ludwig-Maximilians-Universität München verfaßt und 2000 auf den damals neuesten Stand gebracht. Da jedoch das Erscheinen dieses Bandes immer noch nicht absehbar ist, wird sie hiermit in seitdem unveränderter Form im Internet präsentiert, um vielleicht doch noch von Nutzen zu sein.
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Volhard, Jakob, * 4. 6. 1834 Darmstadt, † 14. 1. 1910 Halle. (ev.) ⚭ 17. 3. 1867 Josephine Backofen, * 5. 9. 1842.
V Karl Ferdinand, Hofgerichtsadvokat; M Cornelie Leisler.

V. absolvierte 1851 das humanistische Gymnasium in Darmstadt und besuchte dann auf Wunsch seines Vaters zuerst für ein Jahr die höhere Gewerbeschule in Darmstadt, 1852 bis 1855 schließlich die Univ. Gießen. Dort lehrte anfangs Justus von Liebig, ein enger Freund der Familie, Chemie, und so studierte auch V. Chemie. Am 6. 8. 1855 promovierte V. in Gießen bei Heinrich Will (ohne Diss., aber mit ausführlicher schriftlicher Prüfung) und erhielt gleichzeitig die venia legendi in Chemie, verbrachte dann ein "Bummelsemester" bei Robert Bunsen an der Univ. Heidelberg und wurde 1856 von Liebig an das Chemische Laboratorium in München geholt. Dort blieb er bis 1860, anschließend ging er als Assistent zu A. W. Hofmann, ebenfalls ein alter Freund der Familie, am Royal College of Chemistry in London. Nach seiner Rückkehr 1861 nahm er das Studium mit dem Ziel der Habil. erneut auf, zuerst bei Hermann Kolbe an der Univ. Marburg, dann wieder bei Liebig in München. Am 17. 4. 1863 wurde er an der Univ. München zum Priv.-Doz. ernannt, ab 1864 hielt er die Vorlesungen in experimenteller organischer Chemie und baute mit Mitteln seines Vaters ein Unterrichtslabor auf. Um eine besoldete Stelle zu haben, wurde er im Januar 1865 Adjunkt am Pflanzenphysiologischen Institut unter Carl Wilhelm von Nägeli, was bald auch Arbeiten an der Landwirtschaftlichen Versuchsstation einschloß. Am 1. 5. 1869 wurde V. zum ao. Prof. ernannt, ab 1870 übernahm er mehr und mehr die Tätigkeit des erkrankten Liebig, ab 1871 die Redaktion von (Liebig's) Annalen der Chemie. Nach dessem Tod 1873 leitete V. das Labor bis zur Ankunft des Nachfolgers Adolf von Baeyer 1875. Dieser übergab bei der Neuordnung des Labors V. die Leitung der anorganischen Abteilung. Im Januar 1876 gab V. die Stellung als Adjunkt am Pflanzenphysiologischen Institut auf, im Januar 1879 nahm er einen Ruf auf die o. Professur für Chemie an der Univ. Erlangen an. Im März 1882 wurde er schließlich o. Prof. an der Univ. Halle und baute dort das Chemische Institut aus. 1908 wurde er emeritiert. Bereits 1871 war V. ao. Mitglied der Bayer. Akad. der Wissenschaften geworden, 1879 korrespondierendes Mitglied. 1897 wählte in die Univ. Halle zum Rektor, 1900 wurde er Präsident der Deutschen Chemischen Gesellschaft, 1901 Ehrenmitglied des Vereins Deutscher Chemiker. Bemerkenswert ist auch V.s Umgang mit Künstlern und Schriftstellern in München, z. B. Moritz von Schwind, Paul Heyse, Franz von Lenbach.

V.s wissenschaftliche Leistungen liegen wesentlich auf drei Gebieten: der organisch-synthetischen Chemie, der analytischen Chemie und der Geschichte der Chemie. Aus dem ersten Bereich sind vor allem die Synthese des Sarkosins 1862 und des Kreatins 1868, sowie zwischen 1874 und 1879 die Darstellung der Aminoessigsäure, des Cyanamids und des Thioharnstoffs, und 1885 die Thiophen-Darstellung (Volhard-Erdmann-Synthese) zu nennen. Am bekanntesten und wichtigsten sind indes die analytischen Arbeiten V.s, besonders die Titration der Silber- und Quecksilberionen ab 1874 ("Titration nach Volhard"), später die maßanalytische Bestimmung des Mangans. In der Apparatetechnik führte V. z. B. die "Volhardsche Vorlage" ein. Zur Geschichte der Chemie kam V. nicht nur über seine frühe Neigung zur Geschichte im allgemeinen, sondern er wurde darin auch durch Liebigs Interesse an derselben angeregt. Bereits die Habilitationsschrift "Die chemische Theorie" hatte auch wissenschaftshistorischen Charakter. 1870 veröffentlichte V. "Die Begründung der Chemie durch Lavoisier", die in Frankreich und Rußland mit einigem Mißfallen aufgenommen wurde. Erst mit seiner Antrittsrede als Rektor der Univ. Halle 1897, die von der Geschichte der Metalle handelte, begab sich V. wieder ausführlich auf das Gebiet der Chemiegeschichte. Vor allem die Biographien seiner beiden Lehrer A. W. Hofmann und Justus von Liebig begründeten dann seinen Ruf auf diesem Feld. In der Lehre hatte V. erheblichen Einfluß auf die Entwicklung vor allem der anorganischen Chemie in München durch seine Vorlesungen, sowie der analytischen Chemie in ganz Deutschland durch die "Volhardschen Hefte" - bekannter als "Anleitung zur qualitativen Analyse" bzw. "Der Volhard" -, obwohl sie nie im Buchhandel erschienen. Zu V.s Schülern gehörten Johannes Thiele, Hermann Staudinger und D. Vorländer.

Q UAM, E-II-N Jakob Volhard; Archiv der Bayer. Akad. der Wissenschaften, Personalakt J. V. des Generalkonservatoriums der Wissenschaftlichen Sammlungen des Staates.

W Die chemische Theorie, Habil. Univ. München 1863 (gedruckt: Braunschweig 1863); Synthese des Kreatins, Sitzungsberichte der Bayer. Akad. der Wissenschaften (1868), 472-479; Die Begründung der Chemie durch Lavoisier, Leipzig 1870; Über eine neue Methode der maßanalytische Bestimmung des Silbers, Sitzungsberichte der mathematisch-physikalischen Klasse der Bayer. Akad. der Wissenschaften (1874), 54-62; Volhards Anleitung zur qualitativen Analyse, als Manuskript gedruckt, Hg.: Clemens Zimmermann, München 1875; Zur Scheidung und Bestimmung des Mangans, Annalen der Chemie 198 (1879), 318-364; Synthetische Darstellung des Thiophen, mit H. Erdmann, Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 18 (1885), 454-455; Experiments in General Chemistry and Introduction to Chemical Analysis, mit Clemens Zimmermann, Baltimore 1887; August Wilhelm von Hofmann. Ein Lebensbild, mit Emil Fischer, Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 35 (1902), Sonderheft; Justus von Liebig. Sein Leben und Wirken, zwei Bände, Leipzig 1909.

L DBA N. F.; Poggendorff, Bde. III, IV, V, VII Supplement (W); C. Tubandt, J. V. †, Chemiker-Zeitung 34 (1910), 73; D. Vorländer, J. V. zum Gedächtnis, Leopoldina 46 (1910), 45-48; A. von Baeyer, J. V. Sitzungsberichte der mathematisch-physikalischen Klasse der Bayer. Akad. der Wissenschaften (1910), 28-32; D. Vorländer, J. V. zum Gedächtnis, Zs. für angewandte Chemie 23 (1910), 336-340 (P); D. Vorländer, J. V., Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 45 (1912), 1854-1902 (Werkverzeichnis, P); E. Fischer, Aus meinem Leben, Berlin 1927; J. Volhard, Erinnerungen an J. V., Chemische Novitäten 25 (1935), 89-99; J. V. als Historiker, Der Deutsche Chemiker 2 (1936), 67-68; W. Langenbeck, J. V., ein Altmeister der Chemie, in: 450 Jahre Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle 1952, 475-484; W. Prandtl, Die Geschichte des Chemischen Laboratoriums der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München, Weinheim 1952, 47-50 (P); R. Pummerer, Chemie, in: Geist und Gestalt, Bd. 2, München 1959, 133-218, hier 153; F. Szabadváry, Geschichte der analytischen Chemie, Braunschweig 1966, 261-262; A. Fischer, J. V., in: Lexikon bedeutender Chemiker, Hg.: W. R. Pötsch, A. Fischer, W. Müller, Frankfurt/Main 1989, 439.

© Freddy Litten
13.7.2023